Pufferzone zum Arabischen Frühling

  • 28.09.2012, 00:34

Was das Mittelmeer im Süden ist, ist die Türkei im Osten: Hier muss durch, wer nach Europa will.

Was das Mittelmeer im Süden ist, ist die Türkei im Osten: Hier muss durch, wer nach Europa will.

Ungefähr so groß wie St. Pölten ist Reyhanli, die südosttürkische Grenzstadt, an deren Rand eines der drei großen Auffanglager für syrische Flüchtlinge steht. 25.000 SyrerInnen sind in den drei Lagern untergebracht, die Erdogans Republik zur Verfügung stellt. Um dauerhaften Aufenthalt geht es bei diesen Flüchtlingen nicht. Sie sind Spielball der internationalen Politik, in der das NATO-Mitgliedsland Türkei sich eine immer gewichtigere Rolle erarbeitet. Einem Syrer hat die Türkei dagegen Asyl angeboten: dem syrischen Diktator Bashar al-Assad. Ein Detail am Rande, das verdeutlicht, dass sich die Türkei als Maklerin der Interessen zweier Welten - jener der Europäischen Union im Westen und jener der instabilen Regimes im Osten - positionieren will.

Das zeigt auch eine andere Geschichte aus Reyhanli: NGOs und JournalistInnen war der Zutritt zu den Flüchtlingslagern bisher verboten. Weil die Türkei sich noch nicht endgültig entschieden hat, auf wessen Seite sie im syrischen Konflikt steht, will sie nicht, dass zu viele Geschichten der Flüchtlinge an die Öffentlichkeit kommen, sagt Senay Özden, Migrationsforscherin an der Istanbuler Koc Universität. Ein Regimewechsel in Syrien mischt die Karten der gesamten Region neu: Von Teheran bis Gaza und von Manama bis Bagdad wird nichts mehr so sein, wie es war, wenn Assad fällt. Wenn sich allerdings der UN-Sonderbeauftragte für Syrien ankündigt, muss die Türkei die Tore zu den Lagern öffnen. Mit Kofi Annan kommen JournalistInnen, deren Berichte von syrischen Flüchtlingen einen neuen Blickwinkel auf den Konflikt ermöglichen. Es ist ein diplomatisches Schachspiel.

EINWANDERUNGSLAND TÜRKEI. Die Europäische Union braucht Erdogans Republik in der Flüchtlingsfrage ganz unabhängig von der akuten Situation in Syrien als Partnerin. Die Türkei ist längst vom Auswanderungs- zum Einwanderungs- und Transitland geworden. Für europäische Anti-Einwanderungs-HardlinerInnen ist sie die letzte Befestigung vor den Toren der Union. Die Zahl der Flüchtlinge, die sich in der Türkei beim UNO-Flüchtlingsrat um Asyl beworben haben, stieg von 2006 bis 2008 von 4500 auf 12.980. Und das war vor dem Arabischen Frühling. Für Flüchtlinge aus Asien und Afrika kommt erschwerend hinzu, dass in der Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention, die weitreichenden Asylschutz bietet, nur für Schutzsuchende aus Europa gilt. Dennoch: In der türkischen Asylpolitik haben Zivilgesellschaft, NGOs und der UNHCR zuletzt entscheidende Fortschritte erkämpft. Zwar müssen Asylberechtigte nach wie vor in zugewiesene Städte weit entfernt von den Metropolen Istanbul und Ankara ziehen und haben dort eine Melde- und Residenzpflicht. Aber sie bekommen seit 2008, zumindest am Papier, eine Grundversorgung und den Anspruch auf medizinische Behandlung.

Damit der Druck auf die türkische Regierung wächst, alle Flüchtlinge gleich zu behandeln, braucht es eine Öffentlichkeit für deren Lage und Interesse an ihren Geschichten. Bis dahin fließt aber noch viel Wasser durch den Bosporus. Denn für die Regierung Erdogan steht im Vordergrund, internationales Profil zu gewinnen und sich in Bezug auf die wackelnden Diktaturen an ihren Ostgrenzen möglichst alle Optionen offenzuhalten.

Paul Aigner studiert Pädagogik in Innsbruck und ist derzeit Praktikant beim Kulturverein „diyalog“ in Istanbul.

AutorInnen: Paul Aigner