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  • 25.05.2015, 12:01

Absolutely terrifying
Das erste Computerspiel der Geschichte, das Mathematik- Spiel „Nim“, konnte gegen den Computer NIMROD, der 1951 für das Festival of Britain gebaut wurde, gespielt werden. Ein BBC-Reporter, der es ausprobierte, bezeichnete die Erfahrung als „absolutely terrifying“. Das erste Spiel mit grafischen Elementen war „OXO“, eine Version von „Tic-Tac- Toe“, die 1952 entwickelt wurde. Darauf folgten Kriegssimulationen und Schach-Computer. In den 1960ern verbreitete sich „Spacewar!“ in den Computerlaboratorien US-amerikanischer Universitäten. In den 1970ern begann der Siegeszug der Videospiele mit den Acarde-Spielen, die in Spielhallen und Bars aufgestellt werden. Am erfolgreichsten: die Tischtennis- Simulation „Pong“. In den 1980ern tauchten die ersten Gaming-PCs wie der Commodore 64 auf, bald bevölkerten die Geräte von Nintendo, Sega und Sony (Playstation) die Wohnzimmer. Heute sind Videospiele allgegenwärtig: Hatte der erste Gameboy 1989 noch die Maße eines Ziegelsteins, so trägt nun fast jede_r eine Mini-Spielkonsole in Form eines Smartphones in der Hosentasche.

Super Daisy Land
Videospiele lassen sich aufgrund ihres digitalen Formates leicht verändern. So verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument_innen und Entwickler_ innen immer mehr. Vielen Spielen liegt ein Level-Editor bei, mit dem eigene Szenarien gestaltet werden können. Doch selbst dort, wo diese Tools nicht mitgeliefert wurden, finden kreative Köpfe einen Weg, Spiele zu modifizieren und sogenannte Mods, also veränderte Versionen des Originalspiels, zu entwickeln. So gibt es seit längerem Programme, mit denen sich die Grafiken von frühen Nintendo- Spielen ohne Programmierkenntnisse austauschen lassen. So rettet in „Super Daisy Land“ zur Abwechslung die Prinzessin den Installateur. In der Datenbank Mutation.fem finden sich Grafiken und Sounddateien für weibliche Charaktere, um mit ihnen die meist männlichen Helden zu ersetzen. Andere Mods haben fast nichts mehr mit dem ursprünglichen Spiel gemeinsam. Das experimentelle Kunstspiel „Dear Esther“ wurde zum Beispiel mit dem Unterbau eines Egoshooters entwickelt und sogar das berühmte „Counter-Strike“ war ursprünglich eine Mod.

Game over! Insert coin!
Die ersten Acarde-Games kosteten 25 US-Cent pro Spiel. Wer das nötige Geschick hatte, konnte das Spiel in einem Zug durchspielen. Wer verlor und die Game-over-Botschaft sah, konnte sich mit einer weiteren „Quarter“-Münze die nächste Chance kaufen. Spiele und Geschäftsmodelle haben sich seitdem stark verändert: Seit 2009 nimmt die Spieleindustrie mehr Geld ein als die Filmindustrie. 2013 waren es weltweit knapp 52 Milliarden Euro. Allerdings verschlingen große Blockbuster-Titel wie „Grand Theft Auto V“ auch enorme Summen: Produktion und Marketing kosteten 211 Millionen Euro, bis zu 1.000 Menschen arbeiteten an dem Spiel. Neben dem bekannten Modus, einmalig für ein Spiel zu zahlen, haben sich in den letzten Jahren weitere Modelle entwickelt: Bei Online-Multiplayer- Games sind oft monatliche Gebühren fällig, andere Entwickler_innen lassen sich per Crowdfunding ihr Spiel vorfinanzieren. Auf mobilen Plattformen sind „Freemium“-Modelle beliebt: Das eigentliche Spiel ist gratis, aber für bestimmte Spielobjekte, Optionen oder gar leichteren Spielerfolg muss gezahlt werden.

Do it yourself!
Wer selbst ein Spiel entwickeln will, muss heute nicht mehr programmieren können. Mit Tools wie auf stencyl.com oder gamesalad.com lassen sich Spiele kreieren, ohne eine einzige Zeile Code zu schreiben. In ihrem Buch „Rise of the Videogame Zinesters“ beschreibt die Spielentwicklerin Anna Anthropy den Anfang einer neuen Kultur von Hobby-Entwickler_innen, die Games dafür benutzen, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen: ein langsamer Paradigmenwechsel von grafisch perfekten Studio-Blockbustern zu selbstgemachten, oft experimentellen Spielen, die gute und ergreifende Geschichten erzählen. Manche Hobby-Entwickler_innen nehmen an Marathons teil und klicken innerhalb von ein paar Stunden mit dem eigentlich für Kinder gedachten Entwicklungstool „Klik & Play“ ein Spiel zusammen. Wer sich mit Text wohler fühlt, kann mit „twine“ (twinery.org) eigene Textabenteuer schreiben, die als Webseite veröffentlicht werden können. Der eigenen interaktiven Geschichte stehen also nur noch so lästige Dinge wie Hausarbeiten und Prüfungen im Weg.

ÖH-Simulator 3000
Politiker_innen reden nicht sehr oft über Videospiele. Meistens werden Verbote oder Indizierungen von sogenannten „Killerspielen“ diskutiert, im besten Fall werden Spiele als Industrie und damit als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Um diese Berührungsängste abzubauen, fand 2011 im deutschen Bundestag eine LAN-Party statt. In Österreich wurde das Medium Computerspiel schon von Politiker_innen im Wahlkampf benutzt: Das geschmacklose Minarett-Spiel der FPÖ Steiermark ist ein abschreckendes Beispiel. Spieler_innen haben in vielen anderen Spielen aber die Möglichkeit, in die Rolle von Politiker_innen zu schlüpfen: als Bürgermeister_ in in „Sim City“ oder Diktator_in einer kleinen tropischen Insel in „Tropico“. Wer ein ganzes Land nach seinen politischen Vorstellungen regieren will, kann das in „Democracy“ ausprobieren. Sachzwänge und verschiedene Interessensgruppen können die eigene Utopie dabei aber vermiesen. Einzig eine ÖH-Simulation fehlt noch im Reich der Politik-Spiele.

Grenzen des Spiels
Was ist eigentlich ein Spiel? Die Entwicklerin Anna Anthropy definiert Spiele als „an experience created by rules“, also eine Erfahrung, die durch Regeln zustande kommt. Das trifft allerdings auch auf die Steuererklärung zu, die auch durch diese Definition nicht spaßiger wird. Experimentelle Spiele brechen mit den Konventionen des Mediums und stellen die Frage, was überhaupt alles ein Videospiel sein kann, immer neu. In dem als Kunstprojekt programmierten „The Endless Forest“ nehmen die Spieler_innen die Rolle eines Hirsches ein, den sie durch einen endlosen Wald navigieren können. Viel mehr Inhalt hat das Spiel nicht: Mit anderen Spieler_innen lässt sich durch verschiedene Aktionen nonverbal kommunizieren, aber es gibt keine Ziele oder Levels. In „Desert Bus“ kann die achtstündige Busfahrt von Tucson nach Las Vegas nachgespielt werden – in Echtzeit, ohne Möglichkeit zum Pausieren oder Speichern. Wer das schafft, darf zur Belohnung wieder zurückfahren.

AutorInnen: Joël Adami