Ob-Sorge

  • 28.12.2012, 12:56

Warum die Obsorge mehr ist als ein Sonntagnachmittagsbesuch. Ein Kommentar von Elfriede Hammerl.

Warum die Obsorge mehr ist als ein Sonntagnachmittagsbesuch. Ein Kommentar von Elfriede Hammerl.

Zuerst: Obsorge ist nicht Fürsorge. Um mit seinem Kind zu spielen, zu lernen und zum Zahnarzt zu gehen, um ihm vorzulesen, mit ihm zu lachen und sich seine Sorgen anzuhören, muss man nicht unbedingt obsorgeberechtigt sein. Obsorge heißt auch nicht, seine  Kinder sehen zu dürfen. Der Kontakt zwischen Kindern und dem Elternteil, bei dem sie nicht leben, wird nämlich unabhängig von der Obsorge geregelt. Obsorge im juristischen Sinn bedeutet, ein Kind nicht nur pflegen und erziehen zu sollen, sondern auch, es gesetzlich zu vertreten und sein Vermögen zu verwalten. Wenn ein Elternteil um die gemeinsame Obsorge kämpft, dann kämpft er also nicht zuletzt darum, mitbestimmen zu dürfen. In welche Schule das Kind geht, zum Beispiel. Wieviel Taschengeld es kriegt. Ob es Sprachferien in Spanien machen darf. Was es nach der Schule studieren soll.

Das ist per se nichts Verwerfliches. Man kann durchaus aus lauterem Interesse am Kind bei solchen Entscheidungen mitreden wollen. Allerdings kann das Mitredendürfen auch als reine Machtausübung verstanden und praktiziert werden. Die gemeinsame Obsorge schafft also noch keine harmonischen Verhältnisse. Wenn zwei bestimmen dürfen, dann können sie entweder kooperieren oder einander ständig in die Suppe spucken. Um Letzteres zu vermeiden, war sie bis jetzt nur in beiderseitigem Einverständnis möglich. Nun sieht die Familienrechtsreform vor, dass sie nach Scheidungen auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden kann. Und anders als bisher sollen uneheliche Väter ebenfalls das Recht haben, sie unabhängig von der Zustimmung der Mutter zu beantragen. Das Gericht entscheidet dann, ob dem Antrag stattgegeben wird. Bei vielen Frauen – persönlich betroffenen, aber auch solchen, die beruflich viel mit Konfliktfamilien und Scheidungsfolgen zu tun haben – stößt das auf Unbehagen. Sie argumentieren: Eltern, die miteinander auskommen, wurden schon bisher nicht am gemeinsamen Obsorgen gehindert. Ob jedoch in Streitfällen die gerichtlich verordnete Kooperation funktioniere, sei zu bezweifeln.

Feministische Erungenschaften. Um ihre Bedenken besser zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick in die Vergangenheit, und zwar in eine, die noch gar nicht so lange zurückliegt. Bis ins Jahr 1978, als die letzte große Familienrechtsreform in Österreich abgeschlossen war, hatten allein die Väter in den Familien das Sagen. Die elterliche Aufgabenteilung sah so aus: der Mutter die Pflichten, dem Vater die Rechte. Mütter betreuten, Väter erzogen. Mütter mühten sich, Väter schafften an. Nur mit väterlicher Unterschrift bekamen Kinder einen Pass, einen Schulplatz, einen Lehrvertrag. Geschiedene Mütter durften die Kinder zwar versorgen, gesetzlich vertreten durften sie sie nicht. Uneheliche Kinder unterstanden einem Amtsvormund.

Das war eine für Mütter und auch für Kinder demütigende Situation. Die Väter trafen die Entscheidungen, von den Bedürfnissen der Kinder – deren Alltag ihnen fremd war – wussten sie oft nichts. Deswegen: große Erleichterung, als Mütter von Gesetzes wegen endlich gleichberechtigt wurden. Und große Erleichterung, weil geschiedene Mütter die alleinige Obsorge zugesprochen bekamen und nun nicht mehr für jeden Schmarrn die gütige Erlaubnis des ehedem so genannten Familienoberhaupts einholen mussten.

Die neue Gesetzeslage wird, so befürchten KritikerInnen, den Möchtegern-Patriarchen wieder Aufwind geben. Gerade bei strittigen Scheidungen kann davon ausgegangen werden, dass noch emotionale Rechnungen offen sind. Was, wenn die zwangsweise verordnete gemeinsame Obsorge dazu benützt wird, der Ex immer wieder einmal eins auszuwischen, ihre Entscheidungen zu torpedieren, ihr den Alltag mit den Kindern zu erschweren? Mutter meldet Kinder in einer bestimmten Schule an, Vater meldet sie ab.Mutter bucht Urlaubsreise mit den Kindern, Vater legt Veto ein. Mutter erlaubt, Vater verbietet. Mutter verbietet, Vater erlaubt. Und so weiter. Derlei Szenarien sind durchaus realistisch, schon jetzt werden ja Beziehungsaltlasten nicht selten auf dem Rücken  der Kinder hin- und hergewälzt. Okay, sagen wir es geschlechtsneutral: Die Person, bei der das Kind überwiegend lebt, läuft Gefahr, dass die Person, bei der das Kind nicht lebt, sich ständig einmischt, sei es aus Rechthaberei, als Rache für alte Kränkungen oder aus Ärger über Unterhaltsverpflichtungen. Auch Tauschangebote sind vorstellbar: Verzichtest du auf Unterhalt, lasse ich dir die  Obsorge. Die Person, bei der das Kind überwiegend lebt, ist meistens die Mutter. Deshalb sind es Frauen, die eine Verschlechterung ihrer Situation befürchten, während Männer ins Treffen führen, ohne Obsorgeberechtigung wären umgekehrt sie dem guten Willen der Mütter ausgeliefert, Bittsteller, die nichts zu melden hätten im Leben ihrer Kinder.

Veränderung. Das hat grundsätzlich etwas für sich. Neue Rollenbilder verlangen neue Einstellungen, wenn Väter sich engagieren sollen, dann müssen sie auch entsprechend mitreden dürfen. In der Praxis ist es freilich oft schwer, die ehrlich engagierten von denen zu unterscheiden, die Engagement mit Herrschsucht verwechseln und sich als Opfer sehen, weil sie nicht Täter sein dürfen. Häufig geht es auch ums Geld: Ist einer, der klagt, dass er zahlen muss, obwohl er nicht genug zu reden hat, wirklich an seinem Kind interessiert oder bloß daran, Einfluss zu kriegen für seinen Zaster? Die Aufrichtigen von den Scheinheiligen, die Liebevollen von den Selbstsüchtigen, die Verantwortungsvollen von den Machtgeilen zu unterscheiden, das wird in Zukunft die Aufgabe der Gerichte sein. Sie können die gemeinsame Obsorge anordnen oder auch nicht. Sie können entsprechenden Anträgen stattgeben oder  sie ablehnen. Für jeden Fall eine maßgeschneiderte Lösung verhießen uns die Ministerinnen Heinisch-Hosek und Karl bei der Präsentation ihres Reformpakets.

Klingt gut. Fragt sich nur, wie die Schneiderwerkstatt Justiz das schaffen wird. Schon jetzt leiden unsere Gerichte unter einem gravierenden Personalmangel. Und woher das juristische Personal die Kompetenz für seine Entscheidungen nehmen soll, ist auch nicht so ganz geklärt, zumal es keine Verpflichtung zu einer einschlägigen Aus- und Weiterbildung gibt. Ja, man wird PsychologInnen und PädagogInnen beiziehen, aber die Bewertung ihrer Expertisen liegt beim Richter oder der Richterin. Gerade die Familiengerichte sind indes nicht selten erste Durchgangsstation für junge Leute auf dem Weg zu vermeintlich höheren Weihen. Auf welchen Erfahrungen wird sich ihr Urteilsvermögen gründen?

Elfriede Hammerl ist österreichische Journalistin und Schriftstellerin. Ihre letzten beiden Bücher sind „Kleingeldaffäre“ (Deuticke) und das Kinderbuch „Meine Schwester ist blöd“. Die Feministin war Mitinitiatorin des Frauenvolksbegehrens 1997 und kandidierte bei der Nationalratswahl 1999 für das Liberale Forum. Außerdem ist sie mit ihrer Kolumne der einzige verbliebene Grund, das Magazin profil noch aufzuschlagen.

AutorInnen: Elfriede Hammerl