Nerven wie Stahlseile

  • 21.09.2012, 11:45

Judith Ruderstaller von Asyl in Not vertritt Mike A. vor dem Bundesasylamt. Über die unglaubliche Verwechslung der Behörden von Dominica, der Dominikanischen Republik, Haiti und Nigeria und den ganz normalen Wahnsinn der österreichischen Asylpolitik.

Judith Ruderstaller von Asyl in Not vertritt Mike A. vor dem Bundesasylamt. Über die unglaubliche Verwechslung der Behörden von Dominica, der Dominikanischen Republik, Haiti und Nigeria und den ganz normalen Wahnsinn der österreichischen Asylpolitik.

AsylwerberInnen haben es in Österreich schwer, von den Asylbehörden für glaubhaft gehalten zu werden. Zu oft werden ihre Angaben nach europäischen Maßstäben gemessen und zu oft werden sie - infiltriert von xenophobem Gedankengut - von vornherein als AsylbetrügerInnen eingestuft, die erst einmal beweisen müssen, dass sie „echte“ Flüchtlinge sind. Unter anderem geht das sogar so weit, dass die Staatsangehörigkeit mangels Beweisbarkeit angezweifelt wird, oft auf Grundlage völliger Ignoranz der entscheidenden BeamtInnen. So ergeht es auch Mike A. – und das bereits seit zwei Jahren.

A. wurde in Haiti geboren. Als er ein Kleinkind war, trennten sich seine Eltern und er kam nach Dominica, einer karibischen Insel. 2009 besuchte er mit seiner Mutter Haiti, um seinen Vater wiederzusehen - seine Mutter überlebte das Erdbeben Anfang 2010 jedoch nicht, und so flüchtete Mike alleine nach Österreich.

VERWECHSLUNG. In Österreich gab er korrekt an, er sei in Haiti geboren und in Dominica aufgewachsen. Welche Staatsbürgerschaft er habe, also ob Haiti oder Dominica, sei ihm nicht bekannt, seine Mutter habe sich immer um Behördenangelegenheiten gekümmert. Er spreche Englisch, etwas Kreolisch und etwas Französisch. Aus Dominica wurde mangels Kenntnis der Existenz dieser Insel im Asylsystem die Dominikanische Republik. Das weitere Verfahren lässt sich wie folgt kurz zusammenfassen:

Bundesasylamt (BAA): Sie kommen also aus der Dominikanischen Republik. Wie kommt es, dass sie kein Spanisch sprechen?
A.: Ich komme aus Dominica, dort spricht man Englisch und Kreolisch.
BAA: Nein, in der Dominikanischen Republik spricht man Spanisch - Sie sind unglaubwürdig, wir machen eine Sprachanalyse.

Eine Sprachanalyse wurde durchgeführt, das Ergebnis: Nigeria! A. war fassungslos über seine neu gewonnene Herkunft, erhielt einen negativen Bescheid, weil ihm ja in Nigeria keine Gefahr droht und er soll nach Nigeria ausgewiesen werden. Asyl in Not, vertreten durch mich selbst, verfasste eine Beschwerde und versuchte das Missverständnis rund um Dominica und die Dominikanische Republik aufzuklären. Das Ergebnis: Keine Chance. Der Bescheid des BAA wurde bestätigt.

MISSVERSTÄNDNISSE. A. kam in Schubhaft: In der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland kam es trotz vorheriger Thematisierung des Missverständnisses erneut zu denselben Problemen: Wieder übersetzte die Dolmetscherin „Dominica“ als „Dominikanische Republik“, wieder musste dies korrigiert werden. Am nächsten Tag gab es - was ausschlaggebend für den Ausgang des Schubhaftverfahrens war - einen Termin bei
der nigerianischen Botschaft. Dort stand bald fest: A. kommt nicht aus Nigeria, sondern habe einen „rastafarian“ Akzent - kommt also aus der Karibik. Er wurde freigelassen, weil die nigerianische Botschaft empfahl, sich „an den tatsächlichen Herkunftsstaat“ zu wenden. Nachdem trotz allem noch immer eine Ausweisung nach Nigeria rechtlich im Raum stand und die Gründe für das Verlassen von Dominica beziehungsweise Haiti nicht geklärt wurden, ebenso wenig wie die tatsächliche Staatsangehörigkeit, stellte Asyl in Not einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Dem Antrag wurde stattgegeben, das Verfahren wurde beim Bundesasylamt Eisenstadt fortgesetzt - mit dem klaren Auftrag des Asylgerichtshofs, man möge doch endlich seinen tatsächlichen Herkunftsstaat ermitteln, da es Nigeria offenkundig nicht sei.
Aber erneut scheint das Bundesasylamt uneinsichtig: Bei der Befragung im März 2012 wurde die Qualifikation der MitarbeiterInnen der nigerianischen Botschaft angezweifelt - diese könnten doch im Gegensatz zum Sprachgutachter nicht zum Ergebnis kommen, dass er nicht aus Nigeria stamme.
Wie lange A. noch auf eine Entscheidung warten muss, wird sich noch weisen.

ENDLOSSCHLEIFE. So steckt die österreichische Asylpolitik in einer Endlosschleife; Tag für Tag „Österreich sucht den Superflüchtling“: Die zuständigen Behörden scheinen sich darin überbieten zu wollen, durch fadenscheinige Argumente Anträge abzuweisen. Oft wird argumentiert, der „echte“ Flüchtling würde ja gleich im nächsten „sicheren“ Staat bleiben und nicht bis nach Österreich kommen, um hier ein Asylverfahren zu betreiben. Dieser Wunschtraum der xenophoben Politik entspricht aber erfahrungsgemäß nicht der Realität und entsprach dieser auch nie. Vielmehr sucht sich jemand, der aufgrund einer Verfolgung keine Zukunft mehr im Heimatland sieht, einen Zielstaat, in dem er dauerhaft sicher ist, und nicht einen, in dem er (ob zu Recht oder nicht) eine Abschiebung befürchtet. Auch die österreichische Asylstatistik zeigt, dass die „echten“ anerkannten Flüchtlinge nicht aus Österreichs angrenzenden Ländern, sondern von etwas weiter her kommen. Oft wird eine mangelnde „Logik“ des Verhaltens in der Verfolgungssituation in den abweisenden Bescheiden angeprangert - selbstverständlich gemessen an den Maßstäben der europäischen Asylbeamten, der sich meist niemals in einer Kriegssituation oder in einer Situation der politischen Verfolgung befunden hat. Was dieser als „unlogisch“ erachtet, wird dann allerdings ohne Weiteres so bezeichnet.

KRITIK UND WENIG REAKTION. Problematisch ist auch der Mangel an verständlichen Informationen - häufig bedingt durch eine praktisch nicht vorhandene Bildung, andererseits einen Überfluss an schlechten Ratschlägen oder Halbwahrheiten von SchlepperInnen und anderen Flüchtlingen, meist mit der Konsequenz, dass das Vorbringen der Lebensgeschichte von außen betrachtet in der Tat manchmal eigenwillig wirkt. Die bereits mehrfach durch UNHCR, Menschenrechtsbeirat und Netzwerk SprachenRechte geäußerte Kritik stieß leider auf wenig Reaktion. Dabei sei angemerkt, dass hier nicht die gesetzliche Lage, sondern deren Umsetzung zentrales Problem ist.

Der beschriebene Fall ist nur ein Beispiel von zahlreichen Verfahrensfehlern, die das gegenwärtige Asylsystem kennzeichnen. Als Fazit in Bezug auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit im Asylverfahren kann hier durchaus von einer Umkehr der Beweislast gesprochen werden, die so im Gesetz nicht direkt vorgesehen ist: Der Flüchtling von heute muss nicht bloß gefoltert aus seinem Heimatstaat direkt nach Österreich gekommen sein, darf sich nicht im kleinsten semantischen Detail widersprechen, sondern muss auch Nerven wie Stahlseile haben, um oft jahrelang ein Verfahren betreiben zu können, in der Hoffnung, dass ihm oder ihr letztlich doch jemand glaubt.

Judith Ruderstaller ist Juristin und seit 2007 in der NGO Asyl in Not als Rechtsberaterin aktiv. Sie nimmt ebenfalls für Asyl in Not an EU-Projekten zur Asylthematik teil. Momentan verfasst sie ihre Dissertation am Institut für Kriminologie und Strafrecht.

AutorInnen: Judith Ruderstaller