Mariage pour tout le monde? Ehe für Alle?

  • 17.07.2014, 20:18

Die Publizisten Tjark Kunstreich und Joel Naber haben sich in den letzten Jahren intensiv mit der Bewegung gegen die Legalisierung von homosexuellen Ehen und Lebenspartnerschaften in Europa beschäftigt und schrieben über die vielfältigen gesellschaftlichen und psychologischen Formen des Homosexuellenhasses rund um die „mariage pour tous“ in Frankreich. David Kirsch hat sie dazu für progress online interviewt.

Anmerkung der Redaktion:
Wir bedaueren sehr, dass es zu Unklarheiten rund um dieses veröffentlichtes und dann wieder gelöschtes Interview gekommen ist. Diese Situation war die Folge von Meinungsverschiedenenheiten in der Online-Redaktion. Dafür, dass nicht sofort eine adäquate und professionelle Vorgangsweise im Umgang damit gefunden wurde, möchten wir uns entschuldigen.

Uns ist klar, dass sich über das betreffende Interview zumindest stellenweise streiten lässt. Es spiegelt auch nicht unbedingt die (durchaus heterogenen) Meinungen der Redaktion und der ÖH wider, wie Artikel und insbesondere Interviews allgemein nicht immer die Meinung der ÖH widerspiegeln. In folgendem Punkt sind wir uns allerdings einig: Wir trauen unseren LeserInnen zu, dass sie sich eine eigene Meinung bilden können. Sie können und sollen selbst entscheiden, ob sie die Positionen der Interviewten teilen oder nicht.

Wir werden organisatorische Konsequenzen ziehen, um solche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden. Im progress muss Platz für Meinungsvielfalt, kritische Debatten und konstruktiven Dialog sein.

Die Publizisten Tjark Kunstreich und Joel Naber haben sich in den letzten Jahren intensiv mit der Bewegung gegen die Legalisierung von homosexuellen Ehen und Lebenspartnerschaften in Europa beschäftigt und schrieben über die vielfältigen gesellschaftlichen und psychologischen Formen des Homosexuellenhasses rund um die „mariage pour tous“ in Frankreich. David Kirsch hat sie dazu für progress online interviewt.

progress online: Wann begannen die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen rund um die "mariage pour tous" in Frankreich und wie entwickelten sie sich?

Kunstreich und Naber: Beim Amtsantritt der Regierung Hollande 2012 hatten viele Linke und Linksliberale in Frankreich das Gefühl, dass sich alle linken Essentials in der Anpassung an die Mitte in Luft aufgelöst hatten und dass als einziges genuin linkes Projekt im Vergleich zur vorangegangenen Sarkozy-Regierung die „mariage pour tous“ verblieben war. Dieses Gesetzesprojekt bekam damit wohl für Befürworter wie Gegner der sozialdemokratischen Regierung einen starken Symbolcharakter. Daraus allein aber lässt sich die Massenmobilisierung gegen dieses Gesetz nicht erklären. Vielmehr scheint es uns so zu sein, dass mit diesem Thema die Mehrheit des rechten Spektrums endlich „ihr“ Thema gefunden hatte, das an symbolischer Kraft dem Antirassismus und Antikolonialismus der Linken gleichkommt. Es sollte unterstrichen werden, dass es bürgerliche Rechte gibt, auch innerhalb von Sarkozys UMP, die diese Gegnerschaft zur „mariage pour tous“ nicht teilen. Aber diese sind aus taktisch-politischen Gründen bei der Verurteilung dieser Massenbewegung ähnlich zaghaft wie israelfreundliche Sozialdemokraten bei der Kritik des linken Antizionismus. Und daneben geht die Begeisterung für den Hass auf die „loi Taubira“, das Gesetz zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, das nach Hollandes Justizministerin Christiane Taubira benannt ist, weit ins bürgerliche Lager hinein. Die „manif pour tous“ – zu deutsch: Demo für alle –  die Aktionsbewegung, die 2013 in Frankreich den Widerstand gegen die „Ehe für Alle“ organisiert hat ist zugleich ein Klima der Enthemmung entstanden, in dem zum einen die Gewalt gegen Homosexuelle wieder hoffähig geworden ist und zum anderen ein gewisses rechtes Spektrum sich auf einmal ermutigt fühlt, sich vom linken ‚Joch des Antirassismus’ zu befreien – indem sie die schwarze Christiane Taubira mit Bananenschalen bewerfen und dabei die „quenelle“-Geste des antisemitischen und rechtsextremen Komikers Dieudonné zeigen, eine neue Variante des Hitlergrußes. Damit wird dann auch der Haken geschlagen, der die politisch rechte Identität dieser Bewegung wieder auflöst: Die „mariage pour tous“ war gewissermaßen nur der Anlass, das bürgerliche Lager, das mit Antirassismus, Antikolonialismus und Antizionismus in den letzten Jahren in der Mehrheit nie so recht zu locken war, in eine faschistische Massenbewegung einzugemeinden. Das ist geglückt.

Wie entstand die die Gegenbewegung zur "mariage pour tous", was sind ihre Besonderheiten und aus welchen Persönlichkeiten setzt sie sich zusammen?

Losgetreten hat die Bewegung Virginie Tellenne, die unter dem Namen Frigide Barjot in Frankreich als Komikerin bekannt ist. Sie gehört zu einem Spektrum, das zwischen rechtsextrem und faschistisch changiert, aber bislang sein Milieu in den verschiedenen kulturellen Erscheinungsformen antibürgerlicher Provokation gefunden hatte, die landläufig eher als ‚links’ angesehen wurde, ohne dass man sich genauer angesehen hätte, was da verhandelt wurde. In den 2000ern hatte Barjot ihr katholisches Coming Out, während sie sich zuvor als Touristin in der schwulen Sub von Paris verlustiert hatte. Mit ihrer Bewegung der „Manif pour tous“ brachte sie dann aber mehr ins Rollen, als sie selbst wahrscheinlich je zu hoffen gewagt hatte. In Gestalt des „Französischen Frühlings“ wuchs ihr ein von Béatrice Bourges geführter, offen faschistischer Flügel als Konkurrent heran, der sie inzwischen an Popularität überholt hat und effektiver als sie die Verschmelzung von Links und Rechts besorgt.

Womit wird gegen das Recht Aller auf Ehe argumentiert? Kann man Analogien zu anderen regressiven Ideologien entdecken?

Das ist schwer zu sagen, denn im eigentlichen Sinne handelt es sich nicht um Argumente, sondern um Glaubensbekundungen: etwa für den natürlichen Geschlechtsunterschied, für die Notwendigkeit von Mama und Papa, für die Natürlichkeit der Familie, der Abstammung und des Zustandekommens des Lebens ... Der psychologische Hintergrund ist unseres Erachtens, dass viele Menschen auf einmal merken, dass sie sexuelle Minderheiten brauchen, um auf sie herabblicken zu können, weil die Herrschaftsverhältnisse anders nicht zu ertragen sind. Deswegen werden folglich in der Begründung der Ablehnung der „mariage pour tous“ diese Verhältnisse affirmiert und als Garant alles wahrhaft Menschlichen beschworen. Das erinnert an die arabische Bevölkerung, die in den zwanziger und dreißiger Jahren im Mandatsgebiet Palästina Pogrome gegen Juden veranstalteten und dabei die Parole skandierten: „Die Juden sind unsere Hunde!“ Sie konnten und wollten nicht akzeptieren, dass die Juden nicht länger ihre Hunde sein würden und das zionistische Projekt ihnen die Möglichkeit ihrer eigenen Emanzipation vor Augen führte.

 

Wie ist die allgemeine Rechtslage für Homosexuelle in Frankreich momentan?

Homosexualität wurde im Zuge der Revolution in Frankreich bereits 1791 entkriminalisiert. Im 19. Jahrhundert wurde Homosexualität im Zuge der Restauration nicht wieder verboten, was Frankreich zu einem Asylland für verfolgte Homosexuelle machte – der bekannteste Asylbewerber war Oscar Wilde, der nach seiner Haftentlassung 1897 nach Paris ging. Seit 1985 gibt es eine Antidiskriminierungsgesetzgebung und seit 1999 den Pacte civil de solidarité, kurz PACS, eine Art Zivilehe, die zwischen beliebigen Menschen geschlossen werden kann. Galt der PACS zunächst als eine Art eingetragene Partnerschaft, ist er seit einigen Jahren vor allem für heterosexuelle Paare eine Alternative zur Ehe geworden, weil sie vertragliche Regelungen erlaubt, die in der Ehe nicht vorgesehen sind, und leichter zu beenden ist. Mit der Einführung der Ehe für alle, inklusive des Adoptionsrechts, im Frühjahr 2013 hat Frankreich sich dem europäischen Mainstream – mit Ausnahme der deutschsprachigen Länder – angeglichen.

Woraus speist sich die spezielle Ablehnung der Homosexualität bzw. des Rechts homosexueller Paare auf Heirat seitens rechter Organisationen in Frankreich? Was für Positionen hat die Linke in Frankreich hierbei?

Frankreich ist ein Beispiel dafür, wie sich trotz Entkriminalisierung das Ressentiment gegen die Homosexualität halten kann. Solange die Homosexuellen, wie die Juden im Übrigen auch, die Plätze einnehmen, die ihnen zugewiesen werden, können sie damit rechnen, zu überleben und toleriert zu werden. Dafür gibt die Literatur von Marcel Proust ein beredtes Beispiel. Im Unterschied zu deutschen und österreichischen Nazis sind französische Faschisten allerdings nicht an sich homophob: Sie dulden die Homosexualität als Markenzeichen eines intellektuellen Grand-Seigneurs, der sich über Klassenschranken hinwegsetzt und sich zu Kommunismus und Faschismus gleichermaßen bekennen kann, wie ihn etwa der Schriftsteller André Gide verkörperte. Außerdem gibt es die Fraktion der katholischen extremen Rechten und die Überbleibsel des Monarchismus, die klassische konterrevolutionäre Gegenaufklärung, die die Entkriminalisierung der Homosexualität auch nach über zweihundert Jahren noch bedauern. Sie sind nicht mit den Faschisten zu verwechseln – nicht wenige von ihnen kämpften gegen die deutsche Besatzung –, ihre Gemeinsamkeit liegt jedoch darin, dass sie die Homosexualität straffrei im übertragenen Sinn nur dem Adel zugestehen wollen. In diesem Sinne argumentieren manche Intellektuelle gegen die „mariage pour tous“ mit dem Verweis auf die großen homosexuellen Dichterfürsten, was aber in dem Moment albern wird, wenn man sich auf Amerikaner wie den Dichter Walt Whitman bezieht, der eine Poetik der Individualität in der Gleichheit und der Demokratie geschaffen hat.

Eine Mehrheit der Linken hat in französisch- republikanischer Tradition die „mariage pour tous“ unterstützt. Auch linksradikale Gruppierungen, wie die verschiedenen trotzkistischen Parteien, haben sich angesichts der wachsenden rechten Bewegung schließlich für die Ehe für alle ausgesprochen. Wobei es nie eine Massenbewegung für die Ehe für alle gegeben hat – sie ist, wie in anderen europäischen Staaten und den USA, das Ergebnis des jahrzehntelangen Ringens einer klugen Lobby. Die Demonstrationen für die „mariage pour toues“ waren eine Reaktion auf die „Manif pour tous“ und die mit ihr einhergehenden Angriffe auf Homosexuelle und ihre Treffpunkte.

Daneben gibt es aber noch jene Linke, die das Rechtsinstitut der Ehe für überholt hält und nicht verstehen kann, was der Staat in privaten Beziehungen zu suchen hat. Mit ihrem Ideal der offenen Zweierbeziehung perpetuieren sie die Illusion der autonomen Linken vom kollektiven Leben jenseits von Staat und Gesellschaft – die Ideologie des Freiraums. Für sie gilt, was der neokonservative Publizist Alain Finkielkraut, der selbst die Ehe für alle ablehnt, vor kurzem in einer Fernsehsendung im Hinblick auf die liberalen Kritiker des vom französischen Innenminister Manuel Valls durchgesetzten Verbots der Auftritte des Nazi-Komikers Dieudonné diagnostizierte: „Sie wünschen sich einen Rechtsstaat ohne Staat und eine Justiz ohne Schwert.“

 

AutorInnen: David Kirsch