Geschirrspülen wie ein Zwergenmagier

  • 23.10.2014, 02:25

„Game over“ oder „mission accomplished“? Wie Gamification die Lern- und Arbeitswelt verändert.

„Game over“ oder „mission accomplished“? Wie Gamification die Lern- und Arbeitswelt verändert.

Die Redewendung „Nun beginnt der Ernst des Lebens!“ erinnert an erste Schultage oder an den mit jedem Semester näher rückenden Studienabschluss. Die vermeintlich von Spiel und Spaß geprägte, sorglose Kinder- und Jugendzeit wird dadurch dem Ernst der Erwachsenenwelt gegenübergestellt. Eine moderne Leistungsgesellschaft unter den Prämissen der Seriosität und Funktionalität negiert jedoch eine der ureigensten Eigenschaften des Menschen: Wir haben gerne Spaß an den Dingen, die wir machen. Wir spielen gerne – ein Prinzip, das sich im digitalen Zeitalter gesellschaftlich manifestiert, nämlich in der Symbiose von Ernst und Spiel unter dem Überbegriff „Gamification“.

Gamifizierte Anwendungen nutzen die menschliche Tendenz, sich an Spielen zu beteiligen, aus, um Menschen zu motivieren, Tätigkeiten zu verrichten, die normalerweise als langweilig, monoton oder lästig betrachtet werden. Sie binden Prinzipien des Spieldesigns und Spielmechaniken in spielfremde Anwendungen und Prozesse ein. Die Anwendungsgebiete sind dabei schier unbegrenzt und reichen von Marketingkampagnen bis hin zu medizinischen Anwendungen.

Lauf, Gabarello, lauf! Ein eindrucksvolles Beispiel mit dem Namen „Gabarello“ stammt aus einem Züricher Kinderspital, das auf Motoriktherapie spezialisiert ist. Hier lernen Patient_innen, die ihre Beine nicht mehr oder nur teilweise bewegen konnten, das Laufen neu. Vor allem Kinder haben häufig damit zu kämpfen, dass sich Erfolge meist nur quälend langsam einstellen. Daher haben Forscher_innen nun Therapiegeräte mit einem Videospiel verbunden. Je mehr sich Patient_innen selbst bewegen, desto höher und weiter springt ein kleiner Astronaut, der einen liebevoll gestalteten Planeten erkundet und dabei ähnlich wie bei „Pac-Man“ Punkte einsammelt. Das Therapiegerät wird dabei zu einem Videospielcontroller und motiviert dadurch jene, die einen langwierigen Genesungsprozess durchmachen.

Ein weiteres Beispiel liefert die iPhone-App „EpicWin“, eine Kombination aus To-Do-Liste und Rollenspiel. Unter dem Motto „our lives are full of quests“ lassen sich mit dem Abarbeiten der eigenen To-Do-Liste Erfahrungspunkte für einen virtuellen Charakter sammeln: 50 Erfahrungspunkte für einen Besuch im Schwimmbad, 100 Erfahrungspunkte fürs Abschicken „Game over“ oder „Mission accomplished“? Wie Gamification die Lern- und Arbeitswelt verändert. der Seminararbeit und einen neuen Zauberstab als Gegenleistung für sauberes Geschirr. Der Alltag wird zum Abenteuer.

An diesen Beispielen ist ersichtlich, dass gamifizierte Anwendungen darauf abzielen, unser Verhalten zu ändern. Das Anwendungsgebiet ist jedoch nicht auf den digitalen Bereich beschränkt. So testete die Swedish National Society for Road Safety eine sogenannte „Speed Camera Lottery“, die eine Spielmechanik in Geschwindigkeitskontrollen miteinbezieht. Das Radargerät blitzt dabei alle vorbeifahrenden Autofahrer_innen. Wie gewohnt zahlen Raser_innen ihre Strafen. Das dabei eingenommene Geld fließt jedoch nicht zur Gänze an den Fiskus, sondern wird zum Teil über ein Belohnungssystem unter jenen Verkehrsteil- nehmer_innen verlost, die sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit reduzierte sich während des Experiments von 32 km/h auf 25 km/h. Es trug somit entscheidend zu einer Verkehrsberuhigung bei.

Bereits seit den 1960er Jahren punktet das Unternehmen Weight Watchers bei Menschen, die Gewicht verlieren wollen, mit Methoden, die heutzutage auch in Multiplayer-Spielen zur Anwendung kommen. Mit Fortschrittsberichten (vergleichbar mit Level-ups), der Möglichkeit, an besonderen Herausforderungen teilzunehmen (Quests) und sich mit anderen zu messen (Rankings), baut die Methode auf spielerischen Elementen auf.

Splat that Sperm! Gamification im weiteren Sinne umfasst auch spielerische Zusammenhänge, wie sie Serious Games bieten. Darunter versteht mensch digitale Spiele, die nicht primär oder ausschließlich der Unterhaltung dienen, wohl aber derartige Elemente enthalten. Gemein haben Serious Games – sowie auch Lernspiele – das Anliegen, Information und Bildung in Zusammenhang mit Unterhaltungsaspekten zu vermitteln. Als Beispiel lässt sich das Handy game „SpermEX“ des Wiener Entwicklerstudios ovos nennen. Auf spielerische Weise sollen Jugendliche dabei alles Wesentliche zum Thema Safer (Hetero-) Sex und Verhütung lernen. Mit einem Klick zerplatzt das Spermium auf dem Weg zur Eizelle. Eine ungeplante Schwangerschaft oder eine Infektion durch Geschlechtskrankheiten gilt es zu verhindern. Aufgeklärten Spieler_innen stehen dazu neun mächtige Verhütungs-Power-ups zur Verfügung – vom Kondom bis zur Vasektomie. Fundiertes Wissen vermittelt ein virtuelles Lexikon zum Durchblättern. Bewertungen wie „Super Spiel! Und man lernt dabei sogar noch was“ oder „Ich finde das spiel ist pervers doch finde es sehr gut“ lassen erahnen, dass das Spiel in der Zielgruppe gut ankommt.

Schöne, neue Arbeitswelt. Als Instrument zur Beeinflussung von Verhaltensmustern und Motivationskurven finden gamifizierte Prozesse auch Anwendung in Unternehmen. Schon länger bekannt sind beispielsweise Auszeichnungen zum_r Mitarbeiter_in des Monats inklusive Belohnungen. Für moderne Fabriken werden Maschinen entwickelt, die Highscores aufzeichnen oder mit rhythmischen Sounds aus „Super Mario“-Spielen die Fließbandarbeiter_innen zu Höchstleistungen animieren sollen. Gerade diese Umleitung unternehmerischer Ziele in die intrinsische Motivation von Angestellten stellt jedoch die Schattenseiten der Gamifizierung zur Schau: So wurde die Arbeitsgeschwindigkeit von Putzpersonal in einem Disney-Hotel im amerikanischen Anaheim auf einer gigantischen öffentlichen Leinwand angezeigt und verglichen. Die Mitarbeiter_innen nannten das System „electronic whip“, die elektrische Peitsche. Ein Game over in der Videospielwelt hat keine Konsequenzen. In der Realität hingegen haben die Menschen schlicht und einfach keine Restart-Funktion zur Verfügung.

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

 

„The Speed Camera Lottery“: www.youtube.com/watch?v=iynzHWwJXaA
„SpermEX“: http://www.ovos.at/portfolio/125,spermex.html

gabarello.zhdk.ch

www.youtube.com/watch?v=iynzHWwJXaA

www.ovos.at/portfolio/125,spermex.html

articles.latimes.com/2011/oct/19/local/la-me-1019-lopez-disney-20111018

 

AutorInnen: Klemens Herzog