Geschichten von Verfolgung und Romantisierung

  • 24.02.2015, 18:44

Mit Antiziganismus lässt sich in Europa gut Politik betreiben – das illustrieren zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele. Aktuell beleuchten zwei Ausstellungen die ambivalente Geschichte einer Minderheit, die mit einer eigenartigen Mischung aus Verachtung und Faszination konfrontiert wird.

Mit Antiziganismus lässt sich in Europa gut Politik betreiben – das illustrieren zahlreiche historische und zeitgenössische Beispiele. Aktuell beleuchten zwei  Ausstellungen die ambivalente Geschichte einer Minderheit, die mit einer eigenartigen Mischung aus Verachtung und Faszination konfrontiert wird.

„Es ist eine Ausstellung über meine eigene Familiengeschichte, anhand der exemplarisch die Geschichte einer gesamten Minderheit vermittelt werden kann“, schildert die Künstlerin und Filmemacherin Marika Schmiedt das Anliegen der Ausstellung „Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“, die aktuell im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes zu sehen ist. Sie thematisiert die Verfolgung und Vernichtung der Roma und Sinti im Nationalsozialismus und beleuchtet deren Nachwirkungen auf die sogenannte zweite Generation.

Jahrelang hat Schmiedt die Geschichte ihrer Familie aufgearbeitet. Der Großteil ihrer Verwandten wurde, wie nahezu 90 Prozent aller österreichsichen Roma und Sinti, in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet. Aus unzähligen Archiven hat sie Fragmente zusammengetragen – Strafverfügungen, Häftlingskarten, Todesmeldungen und Sterbeurkunden, pseudowissenschaftliche Rassegutachten und Fotografien – und so die Biografien der Familien Berger, Horvath und Schmiedt, ihrer Ur- und Großeltern, Eltern und deren Geschwister rekonstruiert.

Die Ausstellung rückt die Geschichten einzelner Menschen in den Mittelpunkt und verleiht auf diese Weise der Verfolgungsgeschichte der Roma und Sinti, die in planmäßiger Vernichtung gipfelte, Gesichter und Namen. Ihr Untertitel weist jedoch unzweideutig darauf hin, dass die Feindschaft gegen Roma und Sinti mit der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus keineswegs ein Ende fand. Schmiedts Familiengeschichte dokumentiert, mittels mitunter sehr persönlichen Zeugnissen, die Auswirkungen und Spätfolgen der Nazi-Verfolgung sowie die nach 1945 anhaltende Ausgrenzung der Überlebenden.

(c) DÖW

Gegen die Ortlosigkeit. Ein ganz ähnliches Anliegen verfolgt die Ausstellung „Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“ im Wien Museum. „Die Ausstellung“, erläutert Andrea Härle, Geschäftsführerin des Romano Centro in ihrer Rede zur Ausstellungseröffnung, „ist ein wichtiger Schritt, um Roma und deren Geschichte den angemessenen Ort im kulturellen Gedächtnis zu verschaffen.“ Auch Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, betont, dass die Ausstellung wichtig und eigentlich schon lange überfällig gewesen ist.

Im Fokus steht die Betrachtung alltäglicher Orte, gerade weil das antiziganistische Zerrbild Roma und Sinti als eine heimatlose Gruppe imaginiert. Die Ortlosigkeit ist eines der zentralen, seit Jahrhunderten überlieferten Stereotype. Um gegen solche Klischees anzugehen, wurde das Ausstellungsprojekt in Kooperation mit dem Romano Centro, der Initiative Minderheiten und dem Landesmuseum Burgenland realisiert.
„Wie viel wir mit der Ausstellung verändern“, erzählt der in Floridsdorf aufgewachsene Musiker und Mitgestalter Willi Horvath, „ist mir noch nicht klar.“ So viel kann jedoch jetzt schon gesagt werden: Die Ausstellung zeichnet mit ihren vielfältigen Einblicken in die Lebenssituationen von Roma und Sinti in Österreich ein differenziertes Bild. Zusätzlich zur Präsentation historischer Dokumente aus dem 18. bis 20. Jahrhundert setzen elf Personen aus den Roma- und Sinti-Communities den klischeebeladenen Außenbildern notwendige andere Perspektiven entgegen. In dieser Ausstellung kommen Roma und Sinti selbst zu Wort. Es ist ein Ort, an dem sie ihre eigene Geschichte erzählen und einen Prozess der Aushandlung über die Geschichte durch Roma und Nicht-Roma in Gang setzen.

„Was bleibt. Fragmente einer fortwährenden Vergangenheit“
Kuratorin: Marika Schmiedt
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien
bis 12. März 2015

„Romane Thana. Orte der Roma und Sinti“
Kurator_innen: Andrea Härle (Romano Centro), Cornelia Kogoj (Initiative Minderheiten), Werner Michael Schwarz (Wien Museum), Susanne Winkler (Wien Museum) und Michael Weese (Landesmuseum Burgenland)
Wien Museum, Wien
bis 17. Mai 2015

 

Tobias Neuburger ist Doktorand an der Universität Innsbruck und promoviert mit einer Arbeit über Aufführungen des Antiziganismus um 1900.

AutorInnen: Tobias Neuburger