Aktion und Reaktion bei der Wiener Refugee-Bewegung

  • 11.12.2013, 19:19

Im Spätherbst vergangenen Jahres setzte sich ein Protestmarsch von der Sammelunterkunft „Flüchtlingslager Ost“ in Traiskirchen in Bewegung. Es handelte sich um eine Protestaktion von Flüchtlingen, die im Morgengrauen des 24. November 2012 gen Wien marschierten. Anschließend plante man im Sigmund Freud Park ein Protestcamp zu errichten.

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Im Spätherbst vergangenen Jahres setzte sich ein Protestmarsch von der Sammelunterkunft „Flüchtlingslager Ost“ in Traiskirchen in Bewegung. Es handelte sich um eine Protestaktion von Flüchtlingen, die im Morgengrauen des 24. November 2012 gen Wien marschierten. Anschließend plante man im Sigmund Freud Park ein Protestcamp zu errichten.

Der dem Marsch zu Grunde liegende Anlass zum Protest und die daraus erwachsene Protestbewegung rund um die „Besetzung“ der Votivkirche war eine Einzigartigkeit der österreichischen Asylrechtsgeschichte. Zum ersten Mal machten österreichische Flüchtlinge auf die barbarischen Zustände, denen sie ausgeliefert sind, weitestgehend eigenständig aufmerksam. Sie versuchten so einerseits ihrer Wut über den täglichen Spießrutenlauf durch die oftmals unergründlichen Wege der österreichischen Asyljudikatur Ausdruck zu verleihen, andererseits versuchten sie mittels später ausformulierten politischen Forderungen konkrete Veränderungen herbeizuführen.

Kaum jemand hätte wohl zu diesem Zeitpunkt eine solche Welle an darauffolgenden Ereignissen erwartet. Vielmehr rechnete man in den Kreisen der UnterstützerInnen und direkt Beteiligten mit einem baldigen Erschlaffen des Protests, da bisher von zivilgesellschaftlicher Seite vergleichsweise geringes Interesse an einer Thematisierung der menschenunwürdigen Zustände in Asylheimen bestand. Bei einer genaueren Untersuchung asylrechtlicher Sachverhalte in der österreichischen Medienlandschaft als auch in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen konnte man erkennen, dass etwa Stellungnahmen und Aufrufe zum Protest sich bisher meist auf eine sehr oberflächliche und plakative Behandlung dieser Thematik beschränkten. Bloß zu tatsächlich "massenfähigen" Anlässen mobilisierte man zu Demonstrationen (wie etwa im Falle der in den Kosovo "auszuweisenden" Arigona Zogaj), jedoch nicht um eine grundlegende Skandalisierung der menschenunwürdigen Zustände zu leisten. Dies änderte sich jedoch mit dem Aufflammen des Flüchtlingsprotests dramatisch, der Protest war weitestgehend "in aller Munde".

Anfängliches Desinteresse
Die österreichischen Medien zeigten von Beginn an flächendeckendes Desinteresse oder betrieben Faktenhuberei; der Kurier versuchte gar den Protest als ein von außerhalb gelenktes Ereignis zu brandmarken, in dem eine dubiose Gestalt in Form eines bayrischen „Linksaktivisten“ (1) als alleiniger Strippenzieher herhalten musste. Damit sollte der Protest der Flüchtlinge, der bereits Forderungen nach vollem Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt und uneingeschränkte Bewegungsfreiheit beinhaltete, delegitimiert werden.
Die „Flüchtlingsbewegung“ war anfänglich eher ein Sammelsurium verschiedenartiger, gemeinsam agierender Gruppierungen. Um auf die menschenunwürdigen Zustände aufmerksam zu machen, errichtete man ein Zelt-Lager im Sigmund-Freud-Park. Jedoch provozierte dies sehr bald gezielte Aktionen der Wiener Polizei, die sich in erster Linie gegen dort ansässige AsylwerberInnen und UnterstützerInnen richteten. Fortan wurde den Protestierenden klar, dass das Zeltlager bloß von kurzer Lebensdauer sein würde und so suchten etwa 20 Asylwerber Zuflucht in der Votivkirche. Derjenige, der von einer „Besetzung“ der Votivkirche überhaupt erst sprach, war der Pfarrer der Kirche, der sich ganz und gar nicht solidarisch zeigte und sich später durch gewisse Feindseligkeiten gegenüber den Geflüchteten bemerkbar machte: etwa durch die Weigerung, die Flüchtlinge aus der Kirche zu lassen und durch den Versuch das Betreten der Kirche zu verhindern.
Die Flüchtlinge forderten zu dem Zeitpunkt unter anderem grundlegend menschenwürdigere Zustände in den Lagern, einen freien Zugang zur staatlichen Grundversorgung für alle AsylwerberInnen unabhängig von ihrem Rechtsstatus, die Leistungen (darunter: Mietzuschuss, Verpflegungsgeld und Krankenversicherung) beinhalten, welche de jure schutzbedürftigen AsylwerberInnen zustehen und einen Austausch sämtlicher Dolmetscher in Traiskirchen, da diese oftmals sprachlich unqualifiziert sind und kaum in der Lage sind die AsylwerberInnen präzise genug zu verstehen.

Bis März dieses Jahres verweilten die Flüchtlinge in der Votivkirche, bis man sich darauf einigte in das Servitenkloster umzusiedeln.
Die Caritas diente in der Zeit ab der Besetzung der Votivkirche maßgeblich als Verhandlungsteam zwischen den Refugees und dem österreichischen Staat. Der Aufenthalt der Protestierenden in der Votivkirche war jedoch von mehreren Repressalien und Einschüchterungsmethoden geprägt, die allesamt das Ziel hatten den Protest zu unterbinden und ihn zu delegitimieren.

Repression
Am 28. Februar ereignete sich ein Treffen zwischen Flüchtlingen und ihren UnterstützerInnen mit mehreren Vertretern der Kirche in einem Café unweit der Votivkirche, bei dem angeblich auch Shahjahan Khan anwesend gewesen sein soll. Shahjahan Khan war zu diesem Zeitpunkt einer der federführenden Akteure und Sprecher des Protests. Vermutlich am Weg zurück zur Votivkirche, war Shahjahan Khan in einer Gruppe anderer Illegaler unterwegs gewesen. Einige ZivilpolizistInnen erblickten ihn, umzingelten ihn in Folge dessen und führten ihn ab.
Es war kein Zufall, dass Shahjahan Khan Zielscheibe der polizeilichen Repression wurde: Shahjahan Khan war nicht nur ein Sprecher der in der Votivkirche Protestierenden, er war auch einer der schärfsten Kritiker des Wiener Polizeiwesens, der in einer Presseaussendung vor 2 Tagen, anlässlich der Verhaftung eines anderen, illegal aufhältigen Fremden, der auf selbige Art und Weise festgenommen wurde, schrieb:

“We want to negotiate, but the police threatens us. We are being surveilled, stopped and checked in front of the church with increasing frequency, without having done anything. Often by undercover officers, who don’t reveal their identity to us. Worst of all is, that one of us has been arrested and taken away by the police and that we still don’t know, what happened to him.” (2)

Was sich liest wie das Drehbuch eines miesen Krimis, schien sich sehr bald als Strategie der österreichischen Exekutive herauszukristallisieren, um den Flüchtlingsprotest aus dem Zentrum der medialen Aufmerksamkeit zu drängen: Einschüchterung mittels repressiver Methoden gepaart mit innenpolitischer, medialer Delegitimation.

Am 29. Juli – 4 Monate waren seit dem „Umzug“ in das Servitenkloster vergangen – wurden acht pakistanische Asylwerber, die allesamt in die Besetzung der Votivkirche involviert gewesen waren, im Rahmen einer polizeilichen Aktion, in den sicheren Tod abgeschoben. "Weil wir Refugees auch Pakistan und die Taliban in den Medien kritisiert haben, werden uns die Geheimdienste schon am Flughafen erwarten, einsperren und wie Kriminelle behandeln. Sie werden uns töten", sagte Shahjahan Khan. (3)

Die österreichische Judikative wandte hierbei - wie bereits in der Vergangenheit - bemerkenswerte, extralegale judizielle Methoden an. Der Verhaftung der acht Refugees war die Verhängung des „gelinderen Mittels“ vorausgegangen, die mittels eines Bescheides erfolgte, der am 23. Juli erlassen wurde. In diesem Bescheid war sich die Fremdenpolizei also noch einig, dass die Schubhaft noch nicht erforderlich sei, da die „tägliche Meldung“ bei einer Polizeistation ausreiche. Selbst dieser Bescheid war bereits rechtswidrig gewesen, da die Fremdenpolizei sie damit begründete, sie müsse „den aktuellen Aufenthaltsort von amtsbekannt rechtswidrig aufhältigen Fremden“ kennen.  Der amtsbekannte Aufenthaltsort war aber kein anderer als das Servitenkloster gewesen, sodass schon für die Verhängung der täglichen Meldung keine Veranlassung bestand und der Bescheid selbst nichts als eine polizeistaatliche Drangsalierung darstellte.
Ebenfalls bemerkenswert war, dass das Bundesministerium für Inneres die bedrohliche Sicherheitslage für sich in Pakistan Aufhältige gar nicht erst geleugnet hatte, sondern selbst eine Reisewarnung auf der offiziellen Homepage ausschrieb. (4) Auf die Frage jedoch, ob Innenministerin Johanna Mikl-Leitner garantieren könne, dass einem der Asylwerber in Pakistan nichts passiert, fiel ihr bloß folgendes ein: „Ich kann auch nicht garantieren, dass einem Asylwerber in Österreich ein Verkehrsunfall passiert, genauso wie ich das bei einem Österreicher oder einer Österreicherin nicht garantieren kann.“ (5)
Im Laufe dieses Montags wurde also acht jungen Existenzen ein jähes Ende bereitet, indem man sie beispielsweise in die Terror-Provinz Khyber Pakhtunkhwa abschob - der Ort an dem sich einst Osama Bin Laden verschanzen konnte - oder auch in das Swat Tal, wo der Zimmernachbar von einem der Abgeschobenen erst vor Kurzem seinen Bruder durch eine gezielte Tötung der Taliban verloren hatte.

 

Delegitimation
Es war nicht der erste Schlag gegen die Flüchtlingssolidarität - und es sollte auch nicht der Letzte gewesen sein, in dem die Innenministerin eine tragende Rolle spielen sollte.
Mittels einer gezielten medialen Delegitimationskampagne versuchte man am darauffolgenden Tag, dem 30. Juli, einige Refugees in die Nähe von Schlepperei und Menschenhandel zu rücken um die Solidaritätskampagne mit den Flüchtlingen so in ein schlechtes Licht zu rücken.

Wegen Verdachts der Schlepperei wurden sechs weitere Personen, drei davon im Servitenkloster, festgenommen. Sie sollen einer großen kriminellen Organisation angehören, die mindestens 300 Schleppungen von vorwiegend pakistanischen Staatsbürgern organisiert und durchgeführt haben soll, welche von Kleinasien über die sogenannte "Balkanroute" nach Österreich und in den EU-Raum erfolgt sein sollen." (derstandard.at, 31. Juli 2013)

"Schwere Vorwürfe gegen drei pakistanische Asylwerber aus dem Servitenkloster. Azhar I., Ali S., und Sabtain S. wurden am Dienstag in der Nähe des Klosters verhaftet. Die drei Pakistani sollen in den letzten Monaten (...) bis zu 10.000 Euro kassiert haben, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaften Wien und Wiener Neustadt. Insgesamt soll die Truppe 10 Millionen Euro verdient haben." (ÖSTERREICH, 31. Juli 2013, Printausgabe)

Dass die Vorwürfe haltlos waren und dies lediglich ein Versuch des Innenministeriums war, der Solidarität, die in den Tagen rund um den 29. Juli ihren Höhepunkt fand, einen Schranken vorzuschieben, zeigte sich letztendlich dadurch, dass die Staatsanwaltschaft selbst die konstruierten Vorwürfe, die Inhumanität und Folter inbegriffen, widerlegten und zurückwiesen.

"Diese Vorwürfe sind nicht Gegenstand unseres Ermittlungsverfahrens. Wir kennen das nur aus den Medien", sagen Thomas Vecsey und Erich Habitzl, die Sprecher der Anklagebehörden Wien und Wiener Neustadt. Auch die laut Polizei gescheffelten "zehn Millionen" (in manchen Stellungnahmen war von drei Millionen die Rede) sind, wie die Gerichtsakte zeigt, nicht Akteninhalt, sondern nur zugespitzte polizeiliche Schätzungen.
Einem Bericht des Falter zufolge finden sich im Gerichtsakt weder Hinweise auf Millionenbeträge, die die Wiener Beschuldigten laut Innenministerium kassiert haben sollen, noch auf Gewalthandlungen, von denen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sprach. Sie hatte etwa in einem Interview mit dem KURIER gemeint, der Schlepperring würde "äußert unmenschlich" agieren: "Wenn es etwa Probleme mit schwangeren Frauen auf der Schlepper-Route gab, dann wurden diese Frauen hilflos auf der Route zurückgelassen." (6)

Dass staatliche Behörden seit jeher versuchen, unliebsame Proteste zu kriminalisieren und delegitimieren, konnte man bereits angesichts der Flüchtlingsproteste in Würzburg und München beobachten.
Auch im postnazistischen Österreich geht es brutaler zu als im allgemeinen kapitalistischen Normalvollzug , denn auch hier herrscht ein grundlegend anderer Umgang mit Migration und Asyl als etwa in "republikanisch" verfassten Staaten, an deren Basis nicht das Prinzip der "Blutsverwandschaft" steht, sondern das ius solis. Während beispielsweise in den USA (nicht nur kandidierende) Präsidenten verlautbaren, dass es sich um eine "nation of immigrants" (Obama) handele, so scheint dies in Staaten wie Österreich, in denen selbst im Lande geborene MigrantInnen stets versöhnlich als "Austro-Türken" bezeichnet werden und nicht etwa als vollwertige Österreicher angesehen werden, als undenkbar.

Allerdings ist der Vorgang der Asylabwehr in Österreich und Deutschland ein anderswertiger: er beschränkt sich nicht nur auf die klassischen Abwehrformen politisch-ökonomischer Facon (etwa die Verhärtung asylrechtlicher Normen um anhand ökonomischer Argumentation Einwanderung einzuschränken), sondern gedeiht hier ein Verhalten, das nur durch den Postnazismus erklärt werden kann. So fungiert das Ressentiment gegen Migration und Einwanderung in Österreich und Deutschland als parteiübergreifendes Scharnier zwischen einander eher verfeindeter Gruppen. Denn das Bild, das der Wahlkampf anlässlich der diesjährigen Nationalratswahl zeichnete, war nicht das eines kollektiven Rutsches nach ,Rechts‘, sondern vielmehr das Abbild eines Österreichs, in dem ehemals als ,extrem‘ titulierte Parteien nicht mehr ausschließlich Klientelpolitik betrieben, sondern sich durch modifizierte Positionspapiere einander annäherten. Von Efgani Dönmez bis Heinz Christian Strache war man sich einig, dass die Flüchtlinge zwar Mitleid verdient hätten, man allerdings den eigens erschafften unmenschlichen Gesetzen Folge leisten müsste. (7)

So hätte es jedem aufmerksamen Verfolger der Proteste zumindest denkbar erscheinen müssen, dass es sich auch bei den sich in Wien ereignenden polizeilichen und ministeriellen Aktionen gegen die Flüchtlingssolidarität, um nichts anderes als einen derartigen Versuch gehandelt hatte: unliebsamen Protest mittels gezielten asylrechtlichen, strafrechtlichen und fremdenpolizeilichen Aktionen ein für alle Mal den Garaus zu machen. (8)

 

-David Kirsch

 

Anmerkungen:

(1) http://kurier.at/chronik/wien/hausverbot-fuer-linksaktivisten/2.301.992
(2) http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/02/25/fluchtlinge-aus-der-votivkirche-kritisieren-bedrohung-durch-die-polizei/
(3) http://fm4.orf.at/stories/1722136/
(4) http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/pakistan-de.html
(5) http://fm4.orf.at/stories/1722136/
(6) http://kurier.at/politik/inland/servitenkloster-fluechtlinge-ermittlungsakt-relativiert-schlepper-verdacht/21.850.377

(7) Siehe meine Untersuchung zum parteiübergreifenden Ressentiment gegen Asyl in Österreich in der UNIQUE/04:

http://www.univie.ac.at/unique/uniquecms/?p=3123

http://www.univie.ac.at/unique/uniquecms/?p=3901
(8) Siehe dazu auch meine eigenen zeitgleich erschienen Einschätzungen und Studien zu den einzelnen Vorfällen:
http://exsuperabilis.blogspot.co.at/2013/02/zu-den-polizeilichen-aktionen-vorfallen.html,
http://exsuperabilis.blogspot.co.at/2013/07/erinnert-sich-noch-jemand-den-27-mai.html

 

AutorInnen: David Kirsch