„Österreich ist kein sicheres Land“

  • 23.10.2015, 15:23

Vor sechs Jahren wurde der Kurdin Evin Timtik in Österreich Asyl gewährt. Nun wird ihr plötzlich kein Pass mehr ausgestellt: Sie sei eine Gefahr für den Staat.

Vor sechs Jahren wurde der Kurdin Evin Timtik in Österreich Asyl gewährt. Nun wird ihr plötzlich kein Pass mehr ausgestellt: Sie sei eine Gefahr für den Staat. 

Seit mehr als sechzig Tagen hält Evin Timtik nun schon Mahnwache. Sie sitzt an ihrem Infotisch vor dem Parlament, verteilt Flugblätter, spricht mit Passanten und Passantinnen und sammelt Unterschriften für ihr Anliegen. Auf ihrem T-Shirt und auf einem großen Plakat steht: „Ich will meinen Konventionspass und meine Reisefreiheit zurück!“

In der Türkei studierte Timtik an der Universität Erzincan und war in einem lokalen Jugendverein tätig. Die überzeugte Sozialistin war auch aktivistisch tätig und engagierte sich für Demokratie und Menschenrechte, nahm an verschiedenen Kundgebungen teil. Nach einem Friedhofsbesuch wurde sie festgenommen und misshandelt. Als sie zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden war, floh Timtik nach Österreich. Den Behörden konnte sie ihre politische Verfolgung durch Fotos, Gerichtsdokumente und andere Schriftstücke glaubwürdig machen und so wurde ihr im März 2010 Asyl gewährt.

GEHEIME QUELLEN. 2015, fünf Jahre später, ist der Konventionspass, der ihr ausgestattet wurde, abgelaufen. Sie ging zur Behörde und stieß dort zunächst auf Schweigen: „Es gab plötzlich irgendwelche Verzögerungen, alles wurde hinausgeschoben“, sagt Timtik. Monate später dann das Schreiben: Timtik könne kein Pass mehr ausgestellt werden, weil die „gerechtfertigte Annahme bestünde, sie würde mit ihrem Aufenthalt im Ausland die innere und äußere Sicherheit des Landes gefährden“. Diese Information hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) „von einer Quelle des Bundesministeriums für Inneres“.

ZURÜCKGENOMMENE RECHTE. „Hier wird mir ein Recht, das Recht auf Reisefreiheit nämlich, das ich mir erkämpft habe, wieder weggenommen“, beschwert sich die Kurdin. Sie kritisiert auch die Intransparenz der Entscheidung: Die Behörden verweigern nämlich die Einsicht in den entscheidenden Akt des Innenministeriums. Prinzipiell kann die Ausstellung eines Reisepasses nach Paragraf 92 des Fremdenpolizeigesetzes verwehrt werden. Timtiks Anwalt Clemens Lahner dazu: „Die Verweigerung der Ausstellung eines Passes aufgrund einer bloßen Behauptung ist nicht zulässig. Wenn eine Behörde einen Antrag abweist, muss sie die Ablehnung begründen, damit man in einer Beschwerde Gegenargumente vorbringen kann.“ Gegen den Vorwurf und den Vorgang hat Timtik nun vor dem Bundesverwaltungsgericht Einspruch erhoben. „Einfach zu sagen ‘Nein, weil ich es sage’, das geht vielleicht in Nordkorea, aber nicht in einem Rechtsstaat“, so Lahner. Die Einschränkung der Akteneinsicht wird vom Paragrafen 17 Abschnitt 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes abgeleitet, gibt BMI-Sprecher Karl-Heinz Grundböck Auskunft. Dort steht, dass die Akteneinsicht eingeschränkt werden kann, wenn die Einsichtnahme eine „Schädigung berechtigter Interessen“ oder eine “Gefährdung der Aufgaben der Behörde oder den Zweck des Verfahrens“ darstellt. Evin Timtik wird nicht nur vorgeworfen, eine Gefahr für den österreichischen Staat, sondern auch eine Gefahr für ihr eigenes Verfahren zu sein.

(c) Olja Alvir

KEIN AUSWEIS. Momentan hat Timtik überhaupt keinen Ausweis. Auch die „Identitätskarte für Fremde“ wird ihr vom BFA nicht augestellt, da dies „grundsätzlich so lange nicht passiert, so lange ein Verfahren zur Ausstellung eines Konventionspasses läuft“, so Grundböck.

Sie kann nun auch einfache Alltagsaufgaben wie ein Konto zu eröffnen oder einen eingeschriebenen Brief bei der Post abzuholen nicht erledigen. „Ich werde wie eine Kriminelle behandelt, obwohl ich nichts gemacht habe. Ich lebe in einem offenen Gefängnis“, fasst Timtik ihre Situation zusammen. „Inwiefern das irgendeinen Sinn ergeben soll, wenn meine Mandantin schon fünf Jahre lang einen Konventionsreisepass hatte und damit auch gereist ist, ohne dass ihr jemals irgendwo ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht worden wäre, verschweigt das BFA“, fügt Lahner hinzu.

BÜROKRATISCHE SCHIKANE. „Ich flüchte wegen Repression aus der Türkei und dann werde ich in Österreich wieder mit ihr konfrontiert. Ich fühle mich nicht mehr sicher; Österreich ist kein sicheres Land“, sagt die Kurdin aus der Türkei auch im Hinblick auf die Behandlung syrischer Geflüchteter. Sie sieht ihren Kampf um Reisefreiheit auch in einem größeren Kontext. „Ich befürchte, dass aus meinem Fall ein Präzendenzfall gemacht wird und dass nun auch anderen Menschen mit Asylstatus Ähnliches droht“ sagt sie. Über Versagungen von Konventionspässen aus Gründen der Gefährdung der Sicherheit werden laut Grundböck keine statistischen Aufzeichnungen geführt.

REPRESSION. In Österreich engagierte sich Timtik im Vorstand der Anatolischen Föderation, einem nicht unumstrittenen linken Verein. Zwei seiner Mitglieder wurden diesen Sommer in Deutschland wegen Verbindungen zur in der Türkei verbotenen marxistisch-leninistischen Partei DHKP-C unter einem ebenfalls umstrittenen Paragraphen verurteilt. Der österreichische Verfassungsschutz stufte die Anatolische Föderation Österreich bis vor Kurzem allerdings als unbedenklich ein. Am 13. Oktober führte die Polizei dann im Wiener Vereinslokal eine Razzia durch, bei der auch Timtik vorübergehend zur Datenaufnahme in Haft genommen wurde. Auffällig ist, dass in Österreich und Deutschland solche Polizei-Aktionen gegen kurdische Vereine vor dem Hintergrund der Verhandlungen zwischen der EU und der Türkei zur aktuellen Geflüchtetensituation vermehrt stattfinden. Die aktuelle Offensive und die Repression ihr und ihren Vereinskollegen und Kolleginnen gegenüber sieht Timtik als Teil der aktuellen Außenpolitik Österreichs im Kontext mit den Beziehungen zwischen EU und Türkei.

„Das Recht auf Asyl ist Menschenrecht, es ist kein Geschenk, dass der Staat Österreich gütig übergibt“, möchte Timtik die aktuelle Mediendebatte zurechtrücken. „Das Recht auf Asyl wurde mitunter blutig erkämpft“, mahnt sie. Seit 20. Oktober befindet sie sich nun in Hungerstreik.

 

Olja Alvir studiert Physik und Germanistik an der Universität Wien.

AutorInnen: Olja Alvir